Wir sind so gut informiert und wissen doch so wenig. Warum? Weil wir vor zweihundert Jahren eine giftige Wissensform namens »News« erfunden haben, Nachrichten aus aller Welt.
„News sind für den Geist, was Zucker für den Körper ist. News sind appetitlich, leicht verdaulich – und langfristig schädlich.“ sagt der Autor Rolf Dobelli.
In einem sehr lesenswerten Artikel beschreibt Dobelli, von seinem Experiment, keine News mehr zu konsumieren. Er kündigte sämtliche Tageszeitungsabos und entsorgte nach eigenen Aussagen den Fernseher sowie sein Radio und löschte zudem die News-Apps vom Smartphone. Dobelli setzte sich also auf eine Art Nachrichten-Diät. Wie bei jedem (Drogen)Entzug empfand er die ersten Wochen als sehr hart.
Klareres Denken, bessere Entscheidungen
Dobelli spricht in diesem Zusammenhang von der ständigen Angst, etwas zu verpassen. Doch nach einer Weile stellte sich ein neues Lebensgefühl ein. Sein Ergebnis nach drei Jahren: klareres Denken, wertvollere Einsichten, bessere Entscheidungen und viel mehr Zeit.
Dobelli nennt in seinem Artikel drei wichtige Gründe einen weiten Bogen um News zu machen:
Erstens: Unser Hirn reagiert unverhältnismäßig stark auf skandalöse, schockierende, personenbezogene, laute, schnell wechselnde Reize – und unverhältnismäßig schwach auf abstrakte, komplexe und deutungsbedürftige Informationen. News-Produzenten nutzen dies aus. Packende Geschichten, schreiende Bilder und aufsehenerregende »Fakten« fesseln unsere Aufmerksamkeit. So funktioniert nun einmal das Geschäftsmodell – die Werbung, die den News-Zirkus finanziert, wird nur verkauft, wenn sie gesehen wird. Die Folge: Alles Feinsinnige, Komplexe, Abstrakte und Hintergründige muss systematisch ausgeblendet werden, obwohl diese Inhalte für unser Leben und das Verständnis der Welt oft relevanter sind. Als Folge des News-Konsums spazieren wir mit einer falschen Risikokarte in unseren Köpfen umher. News-Konsumenten gewichten die meisten Themen völlig falsch. Die Risiken, von denen sie in der Presse lesen, sind nicht die wahren Risiken.
Zweitens: News sind irrelevant. In den letzten zwölf Monaten dürften Sie etwa 10000 Kurznachrichten verschlungen haben – circa 30 Meldungen pro Tag. Seien Sie ganz ehrlich: Nennen Sie eine davon, die es Ihnen erlaubt hat, eine bessere Entscheidung – für Ihr Leben, Ihre Karriere, Ihr Geschäft – zu treffen. Niemand, dem ich diese Aufgabe gestellt habe, konnte mehr als zwei Nachrichten angeben – aus 10000. Eine miserable Relevanzquote. Nachrichtenorganisationen wollen Sie glauben machen, dass sie Ihnen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Viele fallen darauf herein. In Wirklichkeit ist der News-Konsum kein Wettbewerbsvorteil, sondern ein Wettbewerbsnachteil. Falls News-Konsum Menschen tatsächlich weiterbringen würde, stünden die Journalisten an der Spitze der Einkommenspyramide. Tun sie aber nicht, im Gegenteil.
Drittens: Zeitverschwendung. Ein durchschnittlicher Mensch verschwendet einen halben Arbeitstag pro Woche mit News. Global betrachtet, ist der Verlust an Produktivität immens. Nehmen Sie die Terroranschläge in Mumbai im Jahr 2008. Terroristen töteten in einem Akt kühler Geltungssucht 200 Menschen. Stellen Sie sich vor, dass eine Milliarde Menschen durchschnittlich eine Stunde ihrer Aufmerksamkeit auf die Tragödie in Mumbai verwendeten: Sie haben die News verfolgt und sich das Geplapper irgendwelcher »Experten« und »Kommentatoren« im Fernsehen angeschaut. Eine durchaus realistische Schätzung, denn Indien allein hat mehr als eine Milliarde Einwohner. Doch rechnen wir konservativ. Eine Milliarde Menschen mal eine Stunde Ablenkung ergibt eine Milliarde Stunden Ablenkung. Umgerechnet: Durch News-Konsum wurden also an die 2000 Menschenleben »verschwendet« – zehnmal mehr als durch das Attentat. Ich gebe es zu: eine ungewöhnliche, ja sarkastische, aber leider wahre Betrachtung.
Leben wie ein Mönch?
Keine News-Apps, keine Tageszeitungen, kein Fernseher. Nein, darum geht es nicht, sondern einen bewussteren Umgang mit News und Medien.
Dobelli legt seinen Lesern ans Herz statt dem ständigen News-Konsum lieber lange Texte zu lesen, die auch komplexe Zusammenhänge aufbereiten können. Eher ein gutes Fachbuch oder Fachmagazin statt der Boulevardzeitung oder der Tagesschau.
Wie steht es mit Ihrem News-Konsum? Möchten auch Sie Ihren Nachrichtenkonsum ändern oder reduzieren? Können Sie sich eine News-Diät vorstellen? Vielleicht nehmen Sie diesen Artikel als Anlass zu einer ersten persönlichen Auseinandersetzung mit dem Thema.